Versorgungssicherheit der deutschen Stromversorgung

In unserem letzten Newsletter haben wir darauf hingewiesen, dass sich die Qualität eines Stromerzeugungssystems anhand der Kriterien Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit bewerten lässt.

  1. Kosten:

    Der Strompreis sollte für den Bürger bezahlbar und für die Wirtschaft im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig sein.

  2. Versorgungssicherheit:

    Strom sollte jederzeit zuverlässig verfügbar sein, denn Stromausfälle sind nicht akzeptabel für Produktionsprozesse, die rund um die Uhr laufen (z.B. Stahlproduktion).

  3. Nachhaltigkeit:

    CO₂-Ausstoß und andere Umweltbelastungen sollten aus Gründen des Umweltschutzes so gering wie möglich sein.

Im zurückliegenden Newsletter sind wir bereits auf die Stromkosten eingegangen.

Heute möchten wir auf die Versorgungssicherheit der deutschen Stromerzeugungssystems eingehen.

Zunehmende Abhängigkeit von Stromimporten

Deutschland war Jahrzehnte lang Strom-Nettoexporteur und hatte Reserven in seiner eigenen Stromproduktion. Das hat sich mit dem endgültigen Atomausstieg im April 2023 geändert. 

 

Im Durchschnitt der letzten 8 Jahre (2015–2022) betrug der Nettoexport durchschnittlich 1,66 Mrd. € pro Jahr.

 

Im Jahr 2023, kehrte sich der Trend ins Negative und 
Deutschland musste 54 TWh Strom zu hohen Beschaffungskosten von durchschnittlich 95,2€/MWh importieren.

Wie die nachfolgende Grafik zeigt, musste im Gegenzug deutscher Überschussstrom aus erneuerbaren Energien zu erheblich niedrigeren Kosten an unsere Nachbarländer verkauft werden.
Deutschland exportiert offensichtlich immer dann Strom, wenn auch bei unseren Nachbarn die Sonne scheint und/oder der Wind weht…

Die zunehmende Abhängigkeit von unseren europäischen Nachbarn ist ein Indiz dafür, dass unser Stromerzeugungssystem immer mehr an seine technischen Grenzen gerät.

Erhöhter Aufwand zur Stabilisierung der Netze

Dieses Problem der Versorgungssicherheit wird noch deutlicher, wenn man sich anschaut wie aktiv der Netzbetreiber damit beschäftigt ist, fluktuierende Stromeinspeisung auszugleichen:
Im Zeitraum vom 1.1.2024 bis zum 15.4.2024 mussten die Netzbetreiber mehr als 5.000 mal in die Stromproduktion eingreifen, um das Stromnetz stabil zu halten
(= Redispatching).
Im Tagesdurchschnitt mussten die Netzbetreiber also 50 Mal Kohle-, Gas- oder Windkraftwerke ein- oder ausschalten oder andere Maßnahmen zur Netzstabilisierung treffen.

Bei einer Stromüberproduktion können Kapazitäten im günstigsten Fall ins Ausland verkauft werden. Oft sind die Wetterlagen Nordeuropas jedoch ähnlich, weshalb auch Nachbarländer unseren deutschen Überschussstrom nur mit hohen preislichen Abschlägen, oder gar zu Negativpreisen abnehmen.
Windturbinen müssen trotz viel Wind einfach abgeschaltet werden.

Bei einer Stromunterdeckung / Dunkelflaute können Stromkapazitäten aus dem Ausland zugekauft werden (z.B. französischer Atomstrom) oder große Verbraucher (z.B. große Industrieanlagen) abgeschaltet werden.

Insgesamt gingen 2023 gut 19 TWh Strom aufgrund von Netzengpässen verloren. Das entspricht etwa 4% der gesamten Stromerzeugung Deutschlands. Davon waren vor allem Windparks auf See und auf dem Land betroffen. In 2023 betrugen die Redispatchkosten 3,1 Mrd.€.  Dieser Betrag wird durch das sog. Netzendgeld im Strompreis auf die Verbraucher umgelegt.

Paradigmenwechsel als Ausweg?!

Dass die Einspeisung fluktuierenden Stroms aus erneuerbaren Energien zunehmen zu einem Problem wird, hat zwischenzeitlich auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) erkannt und hat hierzu auch bereits eine Lösung parat: „Das Strommarktdesign der Zukunft“.

Ab Seite 85 werden in diesem Dokument die Handlungsoptionen beschrieben. Fazit: Wenn wenig Wind- und Solarstrom im Netz sind (Dunkelflauten), sollen Firmen zukünftig ihre Produktion drosseln. Wer bei Ökostrom-Überschuss die Fertigung hochfährt, soll hingegen Rabatt aufs Netzentgelt erhalten.


Es handelt sich um einen Paradigmenwechsel: Früher wurden Kraftwerkskapazitäten so geplant, dass sie die Nachfrage der privaten und industriellen Stromverbraucher jederzeit bedienen konnten. Heute sollen die Stromabnehmer jedoch so planen, dass sie mit dem wechselhaften Angebot der Stromproduzenten Wind- und Solarkraft zurechtkommen.

Dass die deutsche Industrie zu einem „flexiblen“ Stromverbraucher wird, ist aus Sicht der Bundesnetzagentur (BNetz-A) unerlässlich, wenn die Umstellung auf Wind- und Sonnenstrom nicht die gesamte Versorgungssicherheit gefährden soll. Laut einem Bericht der BNetz-A vom Januar 2023 gehört es zu den Voraussetzungen für Versorgungssicherheit bis 2031, dass die Industrie zu einem „freiwilligen Lastverzicht“ von 13,6 Gigawatt bereit ist. Zur Größenordnung: Ein durchschnittliches Kohlekraftwerk hat eine Leistung von bis zu einem Gigawatt.

Die Konsultation der Bundesregierung zu diesem Vorschlag lief während der Sommerpause und soll am 18. September abgeschlossen werden…

Unser gemeinsames Fazit

Mit einem hohen finanziellen Aufwand gelingt es den Netzbetreibern derzeit immer noch das deutsche Stromsystem stabil zu halten und bislang kam es glücklicherweise noch zu keinen signifikanten Stromausfällen. Mit einem zunehmenden Ausbau des fluktuierenden Photovoltaik- und Windstroms wird sich dies jedoch immer schwieriger gestalten!

Insbesondere die energieintensive Industrie kann ihre Produktion nicht nach Wetterlage ausrichten, denn Chemieanlagen, Glasschmelzen, Hochöfen, Papier- und Textilveredelungsanlagen können nicht so einfach herunter und wieder hochgefahren werden! Die meisten Unternehmen sind auf eine konstante und verlässliche Stromversorgung angewiesen. 

Entscheiden Sie für sich selbst, ob die Lösung des Problems darin besteht, dass wir zukünftig bei Sonnenschein zur Arbeit gehen und bei Dunkelflauten nach Hause geschickt werden

Seien Sie gespannt auf unseren nächsten Newsletter, in dem wir auf das dritte und letzte Qualitätskriterium der deutschen Stromversorgung eingehen werden: 
die Nachhaltigkeit

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