Wenn Deutschlands Strom nur aus Wind und Sonne erzeugt wird

Zu Wilhelm Buschs Zeiten gab es nur einen Bruchteil des heutigen Energiebedarfs.

Und trotzdem gab es bereits Probleme mit der Volatilität der „Erneuerbaren“:

Aus der Mühle schaut der Müller,
Der so gerne mahlen will.
Stiller wird der Wind und stiller,
Und die Mühle stehet still.

So geht’s immer, wie ich finde,
rief der Müller voller Zorn.
Hat man Korn, so fehlt’s am Winde,
Hat man Wind, so fehlt das Korn.

Dieses Problem ist heute zumindest vorläufig gelöst: die Volatilität von Wind und Sonne wird durch grundlastfähige Kohle-, und Gaskraftwerke ausgeglichen. Falls darüber hinaus noch nötig, wird zusätzlich noch Strom aus dem Ausland importiert.

Dies soll sich aber zukünftig ändern: spätestens 2045 soll die Stromversorgung Deutschlands nahezu ausschließlich durch Wind- und Sonnenenergie erfolgen. Wasserkraft und Biogas werden nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Um dann ohne grundlastfähige Kraftwerke Wilhelm Buschs „Müller-Syndrom“ zu vermeiden, wird es erhebliche Speicher brauchen. Batterien kommen für die geforderten Speichervolumen aus Kostengründen nicht in Frage. Deshalb wird man „Power-to-Gas“ nutzen müssen, was bedeutet, dass Überschussstrom über Elektrolyseure in Wasserstoff umgewandelt und dann z.B. in Kavernen gespeichert wird. Bei Stromunterdeckung wird der Wasserstoff dann in Gas-Kraftwerken rückverstromt.

Es wird erwartet, dass der Strombedarf bis 2045 durch Elektrifizierung von derzeit 500 TWh pro Jahr auf 1.000 TWh steigen wird. In unserem heutigen Newsletter möchten wir folgenden Fragen nachgehen:

  • Wie müssen Windkraftanlagen, Solaranlagen und Speicher dann ausgebaut werden?
  • Reicht die aktuelle Planung der Bundesregierung (Osterpaket) aus?
  • Wieviel der Fläche Deutschlands wird dann für Wind- und Solarparks benötigt?

Nachfolgend simulieren wir das von der Bundesregierung angestrebte All-Electric Energiesystem und prüfen die Umsetzbarkeit im Hinblick auf Erzeugungskapazität, Speicherbedarf und Flächenbedarf

Die Berechnungsmethodik:

Für die letzten Jahre stehen tag-genau folgende Daten zur Verfügung
    • Stromerzeugung durch Windenergie (KWh)
    • Stromerzeugung durch Solarenergie (KWh)
    • Stromerzeugung durch Wasserkraft und Biogas (unbedeutend), sowie Kohle und Gas
    • Stromverbrauch (KW)

Diese Daten werden nun in einem 12-Monatsfenster 2023/2024 betrachtet. Für dieses Fenster ist auch der zugehörige damalige Ausbau der Windenergie (Nennleistung) und Solarenergie (Nennleistung) bekannt.

Um nun den Betrieb mit nur „Erneuerbaren“ zu simulieren, wird der aktuelle Ausbau von Wind- und Solarenergie im betrachteten 12-Monatsfenster so weit hochskaliert, bis der Bedarf im Jahresdurchschnitt einschließlich der anfallenden Speicherverluste gedeckt ist. Wasserkraft und Biogas wird dagegen belassen, da es hier keine großen Potentiale mehr gibt. Die derzeitige fossile Stromerzeugung wird auf diese Weise durch Wind und Sonne ersetzt.

Die starken Wetter- und Verbrauchsschwankungen führen an bestimmten Tagen zu Über- und Unterdeckungen. Der Überschuss wird mit Elektrolyseuren in Wasserstoff umgewandelt und gespeichert. An den Tagen mit Unterdeckung wird dieser Wasserstoff dann wiederum rückverstromt.

Die Hochskalierung muss nun mindestens so groß gewählt werden, dass der Speicherstand am Ende des betrachteten 12-Monatszeitraums wieder mindestens gleich ist wie zu Beginn des Zeitraums. Damit ist sichergestellt, dass neben dem täglichen Verbrauch auch die Speicherverluste abgedeckt sind.
Die Größe des Speichers wird so gewählt, dass sich der Speicher nie komplett entleert. Damit ist die Versorgungssicherheit im gewählten 12-Monatszeitraum gewährleistet.

Mit diesem einfachen, aber plausiblen Modell berechnen wir nun das geplante Zukunftsszenario der All-Electric Lösung.

Implikationen der All-Electric Lösung für 2045

Geht es nach Plänen der Bundesregierung, dann sind die Sektoren Verkehr, Gebäude und Industrie bis zum Jahr 2045 weitgehend auf strombasierte Systeme umgestellt und es kommen nahezu keine fossilen Energieträger (Kohle, Erdöl, Erdgas) mehr zum Einsatz. Durch den dadurch erhöhten Wirkungsgrad, sowie durch weitere Energiesparmaßnahmen wie z.B. Gebäudedämmung soll der Primärenergiebedarf von heute 2.400 TWh/a pro Jahr auf dann rund die Hälfte sinken.

Die Ausbaupläne der Bundesregierung sehen für 2045 die folgenden Ausbauziele (Osterpaket) vor:
• Offshore-Windenergie: von 9 GW (2024) auf 70 GW
• Onshore-Windenergie von 62 GW (2024) auf 160 GW
• Solarenergie von 79 GW (2024) auf 400 GW
• Elektrolyseurkapazität von 0 GW auf 10 GW bis 2030

Der Weg zur Nullemission ist auf diesem Schaubild der Agora Energiewende dargestellt:

Ob die dargestellten Maßnahmen innerhalb des geplanten Zeithorizonts realistisch sind, mag jeder für sich selbst beurteilen. Es kann auch hinterfragt werden, ob bei diesem Elektrifizierungsgrad ein verdoppelter Strombedarf von 1.000 TWh ausreicht, um alle fossilen Energieträger zu ersetzen.
Nehmen wir jedoch für die weiteren Betrachtungen an, dass diese Ziele umsetzbar sind …

Methodik und Annahmen des Modells „2045“:

  1. Der Stromverbrauch im betrachteten 12-Monatszeitraum war 464 TWh. Er wird bis 2045 auf 1.000 MWh steigen.

  2. Eine Über- oder Unterdeckung wird zunächst durch Import-/Export ausgeglichen. Dazu stehen Leitungskapazitäten ins Ausland von 20GW zur Verfügung, die zu jeder Zeit in beide Richtungen voll ausgeschöpft werden können.

  3. Gibt es nach Ausschöpfung aller Exportkapazitäten noch Stromüberschuss, dann wird dieser mit einem in Wasserstoff gewandelt (Wirkungsgrad 60%) und bis zur Kapazitätsgrenze des angenommenen Speichers eingespeichert. 

  4. Im Falle von Unterdeckung nach Ausschöpfung der Importkapazitäten wird Wasserstoff aus dem Speicher entnommen und rückverstromt (Wirkungsgrad 60%).

  5. Es wird angenommen, dass bis 2045 alle kleineren Windkraftanlagen ersetzt wurden durch moderne Anlagen mit 5 MW Nennleistung (Bauhöhe 200m).

Ergebnisse für dieses Szenario:

Notwendige Installation:

Um den Bedarf zu decken, müssen Windkraft und Solarenergie gegenüber heute um den Faktor 6, und gegenüber der offiziellen Planung um den Faktor 1,5 ausgebaut werden.

Speicher:

Um Dunkelflauten, sowie Engpässe im Winter zu überbrücken, ist zusätzlich ein Speicher mit einer Wasserstoffkapazität von 66 TWh nötig.

Typischer Füllstand (Darstellung: Oktober bis September):

Aufgrund der geringeren Energiedichte von Wasserstoff würden die derzeitigen Erdgasspeicher (Kavernen etc.) nicht ausreichen, zumal weitere Speicher für zusätzliche importierten Wasserstoff nötig wären (z.B. Industrieanwendungen).

Die geplante Elektrolyseleistung von 10 GW würde zwar bei dauerhafter Volllast ausreichen, um den Speicher zu befüllen. 

Legt man aber die realistischen taggenauen Überschüsse und deren Spitzen zugrunde, so wäre eine Elektrolyseleistung von rund 100 GW, sowie eine Rückverstromungsleistung (Wasserstoff-Kraftwerke) von ebenfalls 100 GW erforderlich.

Flächenbedarf Wind Onshore:

Aktuell sind ca. 28.800 Onshore-Windräder der Leistungsklasse 1,5-3 MW in Deutschland verbaut.
Für die benötigte Wind-Onshore Leistung (316 GW Nennleistung) wären 63.000 Windräder der 5 MW Klasse nötig:

Vergleich: der Fernsehturm in Stuttgart ist 217m hoch

Gleichmäßig verteilt über Deutschland (incl. Städte und Flüsse) würde alle 5 qkm ein Windrad stehen. Realistischerweise wäre die Installationen aber in Windparks zusammengefasst. Bei den üblichen Abstandsregeln der Windräder (5x Rotordurchmesser in Windrichtung, 3x Rotordurchmesser in Nebenrichtung) hätten die Windparks eine Größe von 24.000 qkm, was 6,8% der Fläche Deutschlands entsprechen würde.

Das Bundesumweltamt hat 2013 in der Studie „Potential der Windenergie“ die maximale Verfügbarkeit für Windparkflächen in Deutschland ermittelt. In dieser Studie wird die verfügbare Fläche in Abhängigkeit des Abstands zu Wohngebieten wie folgt ermittelt:

Ergebnis: Der Mindestabstand zu Wohngebieten müsste von derzeit 1.000m auf 900m reduziert werden. In diesem Fall müssten alle Flächen in Deutschland, die dafür geeignet sind, zu Windparks ausgebaut werden.

Flächenbedarf Solar:

Der Ausbau der Solarenergie auf 537 GW Peak benötigt eine Fläche von 8.000 qkm. Dies entspricht 2,3% der Fläche Deutschlands.

Zum Vergleich: dies entspricht etwa der Fläche aller Flüsse und Seen in Deutschland. 

Würden allerdings alle geeigneten Dachflächen in Deutschland mit Photovoltaik ausgerüstet, so würde dies etwa die Hälfte des Bedarfs abdecken. Die andere Hälfte, also ca. 1,2% der Fläche Deutschlands müssten für Freiflächen-Photovoltaikparks ausgebaut werden.

Unser Fazit:

  1. Die Ausbauplanungen der Bundesregierung für erneuerbare Energien sind nicht ausreichend. Offensichtlich geht man bei den Planungen von einer angebotsgesteuerte Stromversorgung aus, was die die Deindustrialisierung weiter vorantreiben wird.

  2. Die Speicherproblematik ist weitgehend ungelöst. Die nötigen Elektrolyse-Kapazitäten sind nicht in Planung und auch kaum realisierbar. Gleiches gilt für die Wasserstoff-Speicherkapazitäten sowie die gesamte Wasserstoff-Infrastuktur.

  3. Insbesondere der Ausbau der Onshore-Windkraft würde die Landschaft Deutschlands nachhaltig verändern: Alle Flächen, die als Windpark geeignet erscheinen, müssten mit Windrädern der Größe des Stuttgarter Fernsehturms ausgestattet werden.

Es gibt also viele gute Gründe, den Plan A zu stoppen, und auf Plan B umzusteigen!